Sylvester


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Geschrieben von: Stefan Wagemann   

Dienstag, den 22. November 2011 um 12:27 Uhr

Jedes Jahr gegen Mitte/Ende Dezember werden wir immer wieder mit der gleichen Fragestellung konfrontiert: Mein Tier hat wahnsinnige Angst vor den Silvesterböllern. Was kann ich tun, um meinem Tier die Zeit zu erleichtern?

Allgemeine Ratschläge

Lieblingsplätze sowie Flucht- und Rückzugsorte sollen für Ihren Vierbeiner leicht zugänglich und jederzeit erreichbar sein (z.B. eine Höhle im Kleiderschrank für ihre Katze, das Hundebett im ruhigen Bereich)
Fenster und Türen verschließen, wenn möglich Jalousien herunterlassen und/oder Vorhänge zuziehen
Katzenklappe frühzeitig schließen, damit ihre Katze nicht unbemerkt entwischen kann
Hunde nicht frei laufen lassen
Wichtig ist, dass Sie Ruhe ausstrahlen und für Ihren Vierbeiner der "Fels in der Brandung" sind
Viele allgemeine Ratschläge zu dem Thema "Geräuschängste" erhalten Sie in diesem Merkblatt der WDT zum Thema Geräuschängste.

Beschäftigung und Ablenkung

Konzentration lenkt von der Angst ab, daher empfehlen sich Suchspiele, kleinere Übungen, die mit Belohnungen verbunden werden und interaktive Spiele. Auch Kaumaterial und mit Trockenfutter oder Leckerchen bestücktes Spielzeug beschäftigt Ihr Tier und lenkt es ab

Hintergrundgeräusche wie Musik oder Fernsehgeräusche sind ihrem Tier vertraut, so dass diese auch eine geeignete Ablenkung darstellen
 

Präparate für die Umgebung (sogenannte Wohlfühl-Pheromone)

Im Bereich der Verhaltensmedizin hat sich bei der Katze die Verwendung von FELIWAY-Zerstäubern bewährt. Diese verströmen ein für den Menschen nicht wahrnehmbares Pheromon - das heißt einen Duftstoff mit besonderen Wirkungen im Tierorganismus - welches den Katzen das Gefühl vermitteln soll, sich in einer sicheren und geborgenen Umgebung zu befinden. Alternativ zu einem Stecker für die Steckdose, der etwa 60 m2 Wohnbereich abdeckt, kann man das Feliway Umgebungsspray auf den Bereich der bevorzugten Ruheplätze sprühen (wie z.B. die Lieblingsecke auf dem Sofa, Kratzbaum).

Ein ähnlicher Wirkungsweg - nach unseren Erfahrungen leider nicht ganz so effektiv wirksam wie das FELIWAY für Katzen aber bei vielen Hunden hilfreich - wird durch die Verwendung von Adaptil-Spray beziehungsweise Adaptil-Zerstäubern erreicht. Leider deckt dieses Präparat nur die häusliche Umgebung ab, so dass die Angstproblematik beim Spaziergang weiterhin bestehen bleibt. Aus diesem Grund wurde ein Halsband auf Adaptil-Basis entwickelt, welches unter dem Namen Adaptil erhältlich ist.

Ein großer Vorteil beider Präparate ist die absolute Nebenwirkungsfreiheit für Mensch und Tier!

"Futtermittel" mit beruhigenden Eigenschaften

Während in früherer Zeit vor allem Psychopharmaka genutzt wurden, um die Tiere über Silvester ruhigzustellen, setzen sich in heutiger Zeit immer mehr sogenannte "Ergänzungsfuttermittel" oder spezielle Futter zur psychologischen Unterstützung der Tiere durch. Der Vorteil dieser Präparate ist, dass sie zwar einerseits über definierte Inhaltsstoffe verfügen, die auf die Psyche der Tiere wirken, andererseits jedoch kein Nebenwirkungs- oder Abhängigkeitspotential besitzen. Daher bewirkt auch eine längerfristige Anwendung dieser Präparate keinen bleibenden Schaden.

Grundsätzlich gilt bei der Verwendung von Ergänzungsfuttermitteln, dass diese mindestens zwei bis drei Tage (besser sogar mindestens eine Woche - bei extrem panischen Tieren zwei Wochen) im voraus verabreicht werden sollten. Weiterhin gilt, dass nicht jedes Präparat bei jedem Tier optimal funktioniert - leider gibt es für jedes Präparat in unserer Praxis sowohl positive als auch negative Rückmeldung.

Zylkène

Zylkène enthält das Einzelfuttermittel „Caseinhydrolysat“. Dieses wirkt beruhigend auf den Organismus von Hund und Katze und beeinflusst das Wohlbefinden positiv. Den enthaltenen Produkte Pepsin und Trypsin wird eine entspannende und beruhigende Wirkung nach dem Säugen des Tieres zugeschrieben und dieser Wirkungsmechanismus liegt dem genannte Ergänzungsfuttermittel zugrunde.

Nebenwirkungen sind keine bekannt. Es empfiehlt sich, die Kapseln zu öffnen und den Inhalt unter das Futter des Tieres zu mischen.

Zylkène sollte mindestens zwei Tage vor einer gewünschten beruhigenden Wirkung gegeben werden. Wenn eine längerfristige beruhigende Wirkung erzielt werden soll, empfiehlt sich eine Gabe von ein bis zwei Monaten, wenn notwendig auch länger.

Relaxan

Relaxan ist ein Präparat in Tablettenform, welches in hoher Konzentration die Aminosäure Tryptophan enthält. Tryptophan wird im Gehirn zum Botenstoff Serotonin umgewandelt. Im Bereich der Psychiatrie werden bei Mensch und Tier zur Behandlung von Angststörungen Psychopharmaka verwendet, welche gezielt den Serotonin-Spiegel im Gehirn steigern. Daher ist erklärbar, warum Tryptophan eine angstlösende Wirkung beim Tier entfalten kann.

Royal Canin CALM

Das Futter Calm der Firma Royal Canin ist für Hunde und Katzen erhältlich. Es wurde entwickelt als präventive Anwendung bei "planbaren" Stresssituationen wie Sylvester, Umzug und Urlaub. Bei vorhersehbaren stressigen Situationen für Ihr Haustier sollte mit der  Calm-Fütterung etwa 10-14 Tage vorher begonnen werden. Ein Bestandteil des Futters, das hydrolisierte Milchprotein Alpha S1 Casein enthält ein patentiertes Peptid  (L-Tryptophan ist ein Serotonin-Vorläufer) mit Stress regulierenden Eigenschaften und wirkt damit ähnlich wie das Produkt Zylkène und Relaxan.

Verwendung von Bach-Blüten

Im Internet finden sich immer wieder Fallberichte zur Verwendung von Präparaten auf der Basis von Bach-Blüten. Hier gilt Ähnliches wie bei der Verwendung von (Ergänzungs)-Futtermitteln - nicht jedes Tier reagiert gleich gut auf diese Präparate. Sie können gerne die Verwendung von "Rescue Remedy"-Tropfen versuchen, aber eine "Erfolgsgarantie" ist auch hier nicht gegeben.

Vergabe von Medikamenten

Wir persönlich sind der Meinung, dass die Vergabe von Medikamenten zu Silvester als absolut letzte Lösung anzusehen ist. Daher werden wir in unserer Praxis die unten aufgeführten Medikamente nur in absoluten Ausnahmefällen abgeben.

Vetranquil - Wirkstoff Acepromazin

Das Präparat Vetranquil mit dem Wirkstoff Acepromazin wurde früher häufig zur Beruhigung der Tiere verabreicht. Generell handelt es sich um ein starkes Sedativum.

Acepromazin bewirkt zwar eine Ruhigstellung des Tieres - es verändert aber nicht die Geräuschwahrnehmung. Mithin wird von einigen Experten sinnbildlich gesagt: Ihr Tier hört weiter das Knallen und Böllern, es hat weiterhin Angst. Es ist nur körperlich nicht in der Lage, dieser Angst Ausdruck zu verleihen.

Neben der Tatsache, dass Tiere durch Acepromazingabe eventuell vermehrt aggressiv reagieren können (sogenannte 'paradoxe Erregung'), sinkt der Blutdruck stark ab. Bei geschwächten, alten oder kranken Tieren kann dieser Blutdruckabfall zu einem lebensgefährlichen Kreislaufschock führen.

Die Anwendung von Acepromazin zu Silvester ist aus den oben genannten Gründen abzulehnen!

Wirkstoffgruppe Benzodiazepine

Als bekanntester Vetreter dieser Gruppe ist der Wirkstoff Diazepam (Handelsname ehemals Valium) bekannt. Ein weiteres, häufig benutztes Medikament zur Behandlung von Angstproblemen ist das Alprazolam. Benzodiazepine haben nicht nur einen beruhigenden Effekt - sie wirken in der Tat angstlösend. Dies ist ihr grösster Vorteil.

Leider ist die Wirkdauer von Diazepam beim Hund mit nur 2-5 Stunden als sehr unbefriedigend anzusehen. Daher eignet sich dieses Präparat kaum zur Anwendung über Silvester.

Zusätzlich gilt für alle Benzodiazepine, dass sich innerhalb kürzester Zeit (bei wiederholter Anwendung tatsächlich je nach Präparat schon nach 48 Stunden) eine körperliche Abhängigkeit einstellt. Demzufolge eignen sich diese Präparate nur bedingt. Sie dürfen nicht plötzlich abgesetzt werden, sondern müssen langsam ausgeschlichen werden.

Auch bei Benzodiazepinen kann es bei ängstlichen Tieren zu paradoxen Erregungserscheinungen kommen.

Wirkstoffgruppe tricyclische Antidepressiva

Bei der Wirkstoffgruppe der tricyclischen Antidepressiva handelt es sich im klassischen Sinne um Medikamente, welche gezielt zur Behandlung von psychischen Problemen entwickelt wurden. Sie zeichnen sich durch extrem starke die Psyche verändernde Wirkungen aus.

In der Tiermedizin findet vor allem das Clomipramin (Handelsname Clomicalm) Anwendung in der Verhaltenstherapie. Ein häufiges Einsatzgebiet ist zum Beispiel die Behandlung von übermässigem Bellen oder Trennungsangst.

Die Wirkung dieser Medikamentengruppe basiert auf längerfristigen Veränderungen im Hirnstoffwechsel und tritt frühestens 2 Wochen nach der ersten Medikamentengabe ein. Dies obwohl bereits nach der ersten Gabe Nebenwirkungen auftreten können.

Aufgrund der langen Einschleichphase ist eine Anwendung von tricyclischen Antidepressiva zu Silvester unserer Meinung nach kontraindiziert!

In seltenen Fällen kann die Verwendung dieser Medikamente zwar hilfreich sein, aber sie erfordern unserer Meinung nach stets eine angemessene verhaltenstherapeutische Begleitung!

Wirkstoffgruppe Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer)

Auch MAO-Hemmer greifen regulierend in den Gehirnstoffwechsel ein. Das bekannteste Präparat in der Tiermedizin ist das Selegilin (Handelsname Selgian), welches in der Verhaltenstherapie erfolgreich eingesetzt wird.

Wie bei den tricyclischen Antidepressiva erfolgt der Eintritt der Wirkung von MAO-Hemmern erst nach längerer Medikamentengabe. Der Wirkeintritt wird von verschiedenen Autoren mit frühestens nach einigen Wochen bis erst nach drei Monaten kontinuierlicher Gabe angegeben. Hieraus erklärt sich, dass eine Verabreichung von Selgian zu Silvester absoluter Unfug ist.

MAO-Hemmer sind wertvolle Präparate in der Verhaltenstherapie - aber nicht zu Silvester!